#08 Wozu braucht es Regeln über den elektronischen Geschäftsverkehr?
Die elektronische Abwicklung von Geschäften der Verwaltungstätigkeit ist das Kernelement von E-Government, sei dies verwaltungsintern, zwischen Verwaltungsstellen oder im Verkehr mit Privaten. Dabei geht es insbesondere um Verwaltungshandeln, welches auf eine Rechtswirkung gerichtet ist und formellen Regeln des Verfahrensrechts untersteht. Dieses Verfahrensrecht muss auch die elektronische Abwicklung des Geschäftsverkehrs vorsehen und regeln. Ein Beitrag von Timur Acemoglu.
Timur Acemoglu ist Rechtsanwalt und berät öffentliche Gemeinwesen in Fragen des E-Government-Rechts.
Übersicht:
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Ausgangslage
Verwaltungshandeln kann verschiedene Formen annehmen. Grob wird es in Rechtsakte und Realakte unterschieden. Rechtsakte haben rechtliche Auswirkungen und begründen Rechte und Pflichten der betroffenen Personen, unter Umständen auf deren Wunsch oder Gesuch hin, während Realakte ein tatsächliches Handeln der Verwaltung umschreiben (z.B. Abwasserreinigung, Strassenunterhalt, Kehrichtentsorgung etc.).
Auch wenn es nicht ganz undenkbar ist, dass Realakte elektronisch erbracht werden könnten (als tatsächliche Handlungen im digitalen Raum), stehen beim E-Government doch die Rechtsakte im Vordergrund. Aufgrund ihrer Rechtswirkungen sind diese Rechtsakte formellen Verfahrensnormen unterworfen, welche auch regeln, in welcher Form ein Gesuch einzureichen oder eine Verfügung zu erlassen ist. Die Verfahrensnormen müssen so ausgestaltet sein, dass auch die elektronische Form des Geschäftsverkehrs zwischen der Verwaltung und der betroffenen Person zulässig und rechtswirksam ist.
Zu beachten ist aber auch der Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), wonach der Zugang zu staatlichen Leistungen und zu Partizipationsmöglichkeiten für alle Privaten im selben Mass gewährleistet sein muss. Unter Umständen kann sich dieser Grundsatz als verletzt erweisen, wenn für Leistungen oder Partizipationsmöglichkeiten allzu hohe technische Anforderungen gesetzt werden.
Elektronischer Geschäftsverkehr im Privatrecht
Die Formerfordernisse im Geschäftsverkehr zwischen Privaten werden in Art. 11 ff. Obligationenrecht (OR) geregelt. Diese Vorschriften sind auch für staatliche Verwaltungsträger anwendbar, sofern sie nicht in einem obrigkeitlichen Verhältnis handeln, sondern als Vertragspartner bzw. bei einem Auftreten am Markt, z.B. als Auftraggeber oder Auftragnehmer.
- Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer bestimmten Form, wenn dies durch das Gesetz vorgeschrieben ist (Art. 11 Abs. 2 OR) oder durch die Parteien so vereinbart wurde (Art. 16 OR)
- Ist Schriftlichkeit von Gesetzes wegen erforderlich, so wird eine eigenhändige Unterschrift jeder durch den Vertrag verpflichteten Person benötigt (Art. 13 Abs. 1 OR).
- Eine qualifizierte elektronische Signatur ist nach Art. 14 Abs. 2bis OR der eigenhändigen Unterschrift gleichgestellt.
Elektronische Kommunikation mit Gerichten und Behörden
Aktuelle Regelung
Durch entsprechende Normen in den anwendbaren Verfahrensgesetzen hat der Bund für sämtliche in seiner gesetzgeberischen Kompetenz liegenden Verfahren den elektronischen Geschäftsverkehr eingeführt.
Dabei gilt im Wesentlichen zusammengefasst, dass elektronisch zu übermittelnde Eingaben
- mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen sind,
- das in der entsprechenden Verordnung vorgeschriebene Format (PDF) einzuhalten haben, und
- über eine anerkannte Zustellplattform übermittelt werden müssen.
Für elektronische Zustellungen der Behörden ist in der Regel die Zustimmung der betroffenen Person notwendig.
Bei elektronischen Eingaben der Parteien bzw. der betroffenen Personen gilt seit dem 1. Januar 2017 wie bei einer schriftlichen Übermittlung per Post das Aufgabeprinzip: Für die Wahrung einer Frist ist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei oder ihres Vertreters für die Übermittlung notwendig sind. Zudem sind die Behörden (nur) bei technischen Problemen berechtigt, eine Nachreichung von Dokumenten in Papier zu verlangen.
Die Regelung der kantonalen verwaltungsrechtlichen Verfahren liegt alleine in der Kompetenz der Kantone. Die meisten kantonalen Regelungen (u.a. Aargau, Basel-Stadt, Genf, Luzern, Schaffhausen, Solothurn, St. Gallen, Tessin, Thurgau, Uri, Zug) sind ähnlich formuliert wie die Regelung des Bundes, teilweise mit spezifischen Anpassungen.
Ausblick
Das von den eidgenössischen Gerichten und den kantonalen Straf- und Justizvollzugsbehörden initiierte Projekt «Justitia 4.0» soll die Schweizer Justiz in eine digitale Zukunft führen. Unter anderem soll für professionelle Anwenderinnen und Anwender (u. a. Anwaltschaft) und für die in einem Verfahren beteiligten Behörden der elektronische Rechtsverkehr obligatorisch werden.
Informationen zum hierzu laufenden Gesetzgebungsprojekt Bundesgesetz über die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ) sind hier abrufbar.
Übersichten zu den Rechtsquellen und Projekten
Öffentliche Beurkundung
Die Kantone können die auf ihrem Gebiet tätigen Urkundspersonen ermächtigen (Art. 55a SchlT ZGB):
- elektronische Ausfertigungen der von ihnen errichteten öffentlichen Urkunden zu erstellen
- zu beglaubigen, dass von Papierdokumenten erstellte elektronische Kopien mit den Originaldokumenten auf Papier übereinstimmen
- die Echtheit von Unterschriften elektronisch zu beglaubigen